Hat eine besonders tödliche Variante des Nervenkampfstoffes ihre Wirkung beim „Berliner Patienten“ Nawalny verfehlt? Die wundersame Genesung des russischen Oppositionellen lässt für die „Nowitschok-Theorie“ kaum noch Raum. Über die verbale Äquilibristik im Fall Nawalny. … Je mehrdie „eingeweihten Kreise“ an Informationen durchsickern lassen, desto schwieriger wird es, die Version aufrechtzuerhalten,dass Nawalny mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden sei.
Von Thomas Scripps und Laura Tiernan – 28. September 2020
Bezirksrichterin Vanessa Baraitser wird die Entscheidung über den Auslieferungsantrag der USA gegen Julian Assange irgendwann im neuen Jahr fällen. Die endgültigen Beweise werden bis Freitag dieser Woche vorgelegt und geprüft. Die Verteidigung wird dann vier Wochen Zeit haben, um ein schriftliches Schlussplädoyer vorzubereiten (das am 30. Oktober eingereicht werden soll), gefolgt von zwei Wochen für die Staatsanwaltschaft zur Vorbereitung ihres eigenen Plädoyers (13. November) und einigen weiteren Tagen für die Verteidigung, um auf Rechtsfragen zu antworten.
Ich weiß nicht, was mit Navalny geschehen ist. Aber dass die von der Bundesregierung verbreitete Version einer Nowitschok-Vergiftung nicht stimmen kann, ist mittlerweile offensichtlich. Man wundert sich nur, dass die „Qualitätsmedien“ all die offen zu Tage liegenden Widersprüche nicht zur Kenntnis nehmen oder hinterfragen. Nowitschok ist ein Nervengift, das in sehr kleinen Dosen tödlich wirkt. Und es wirkt schnell. Schon die erste offizielle Version, Navalny sei auf den Flughafen vergiftet worden, konnte nicht stimmen, da mindestens eine Stunde vergangen ist, bis die Symptome eingesetzt haben. … Dass es bei Nowitschok eine Stunde dauert, bis die Wirkung einsetzt, ist Blödsinn, es wirkt praktisch sofort, wie alle bestätigten Nowitschok-Vergiftungen zeigen. Davon gab es bisher zwei, eine 1987 in einem sowjetischen Labor und eine 1996 bei einem Mordanschlag auf einen russischen Banker. Auch beim Fall Skripal ist der Einsatz von Nowitschok fraglich, denn auch dort soll es Stundengedauert haben, bis das Gift gewirkt hat.
In einem Unrechtssystem ist nicht der Verbrecher von Sanktionen bedroht, sondern derjenige, der das Verbrechen aufdeckt. So geschah es auch Julian Assange, der mit WikiLeaks unter anderem öffentlich machte, wie kaltschnäuzig und brutal das US-amerikanische Militär Leben auslöscht. Statt nun Sorge zu tragen, dass dergleichen nie wieder geschieht, unternimmt der Machtapparat der Welt-Führungsmacht alles, damit solche Taten künftig nie wieder aufgedeckt werden können. An Julian Assange wird ein Exempel statuiert. „Wer sich mit uns anlegt“, so lautet die Botschaft, „wird seines Lebens nicht mehr froh. Er wird sein Leben schließlich verlieren.“ Es bleibt wichtig, diese Zusammenhänge aufzudecken und diesen Justizskandal mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln anzuprangern. Wir tun es nicht nur für den tapferen Julian Assange als Person — wir tun es, damit Pressefreiheit und Menschlichkeit noch eine Zukunft haben auf diesem Planeten.
Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland hat den tiefsten Punkt erreicht, seit Berlin vor sechs Jahren den prowestlichen Putsch in der Ukraine unterstützte und Russland anschließend die Krim-Halbinsel „annektierte“. Die deutsche Regierung beschuldigt den russischen Staat unverhohlen, den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny vergiftet zu haben, der sich derzeit in der Berliner Charité-Klinik befindet und am Montag aus dem Koma aufwachte.
Am 7. September 2020 wurde das Anhörungsverfahren zur Auslieferung von Julian Assange im Zentralen Strafgerichtshof Old Bailey im Zentrum von London fortgesetzt – nicht wie im Februar 2020 im Woolwich Crown Court, das dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh direkt angeschlossen ist. Zur Erinnerung: Julian Assange sitzt unschuldig im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das wegen seiner harten Haftbedingungen in der ZEIT vom 5. Mai 2020 als die britische Version von Guantanamo Bay bezeichnet wurde. Seine Haftstrafe wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen hat er längst abgesessen, und er wird nur wegen des Auslieferungsantrags der USA festgehalten, der sich auf ein Spionagegesetz von 1917 stützt. Damit soll ein Präzedenzfall geschaffen werden. Erstmals wird versucht einen Publizisten als „Hacker“ anzuklagen. Die Gesundheit von Julian Assange ist durch das mehrjährige Exil in der ecuadorianischen Botschaft und der Isolationshaft in Belmarsh extrem angeschlagen. Der tägliche Transport vom Stadtrand Londons in den Zentralen Gerichtshofs wird seine Gesundheit zusätzlich belasten.
Auf die Sendung von Anne Will vom vergangenen Sonntag waren die NachDenkSeiten schon kurz eingegangen. Es bleibt noch einiges nachzutragen: zum sichtbar werdenden Charakter unserer Medien als fanatische Kampfpresse, zum unreflektierten und manipulierenden Umgang mit Russland, und nebenbei noch mit allem „Linken“. Letzteres bekam die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Sevim Dagdelen zu spüren. Sie hat in der Sendung beschrieben, was man über die Vergiftung von Navalny weiß und sie hat darauf hingewiesen, dass unklar ist, woher das Gift kam und wer der Täter ist. Solange man das nicht wisse, solle man auch nicht spekulieren. – Daraufhin wurde ihr von Wolfgang Ischinger, dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, unterstellt, sie leiste „unsäglichen Verschwörungstheorien Vorschub“. Ischinger wurde auf diese Weise zum Stichwortgeber einer Serie von Kommentaren in deutschen Medien. Diese Kommentare und Berichte haben mit dem, was die Abgeordnete der Linkspartei bei Anne Will gesagt hat, nur noch am Rande zu tun.
Die imperialistischen Mächte, allen voran Deutschland, verschärfen die Kampagne gegen Russland wegen des Falls Alexei Nawalny und der Krise in Belarus. Am Montag wachte der rechte Oppositionelle Alexei Nawalny in der Berliner Charité-Klinik aus dem Koma auf. Laut den Ärzten war er ansprechbar. Letzte Woche erklärte die Bundesregierung, Untersuchungen eines Bundeswehr-Labors hätten „zweifelsfrei“ bestätigt, dass Nawalny mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die laut Medienberichten persönlich Nawalnys Verlegung nach Deutschland organisiert hatte, stellte dem Kreml ein Ultimatum, „schwerwiegende Fragen“ zu beantworten, wer hinter dem mutmaßlichen Giftanschlag steckt. Ihr Sprecher Steffen Seibert erklärte, er könne „keine zeitlich genau befristeten Erwartungen ausdrücken außer der, dass wir sicherlich nicht von Monaten oder dem Jahresende sprechen“.
Man stelle sich vor: In einer aktuellen Mitteilung verlangt die russische Regierung eine lückenlose Aufklärung der rätselhaften Toten in Deutschland. Geschlossen machen alle russischen Parteien Berlin dafür verantwortlich. Bis heute weigert sich die deutsche Bundesregierung, die Täter und Hintermänner zu ermitteln. Die deutsche Bundesregierung habe zwar Aufklärung versprochen, doch das Gegenteil ist zu konstatieren. Bis heute unternimmt sie nichts, der Forderung nach einer internationalen und unabhängigen Untersuchungskommission nachzukommen. Man werde nun − zusammen mit der russischen Föderation − die nächsten Schritte sehr genau prüfen. Niemand dürfe auf dieser Welt solche Taten straffrei begehen können. Man werde nun sehr zielgerichtet prüfen, welche Personen in Deutschland dafür Verantwortung tragen, um entsprechende Sanktionen gegen sie zu verhängen. Es gehe jetzt um eine Sprache, die Merkel verstehe. Selbstverständlich verwahrt sich die russische Regierung ausdrücklich, diese Reaktion in irgendeinen Zusammenhang zu dem behaupteten Giftanschlag auf Alexei Nawalny zu bringen. − Alexei Nawalny ist ein russischer Oppositionspolitiker und zeichnet sich durch zwei Eigenschaften besonders aus: Er ist Gegner von Putin und ist ein erklärter Rassist und Reaktionär, was ihn im „freien Westen“ zu einer symphatischen Person werden lässt. Drittens wird er mehr im Ausland als im eigenen Land unterstützt und last not least stellt Nawalny für „Putin“, für die amtierende Regierung keine ernsthafte Gefahr dar.
Am ersten Tag der wieder aufgenommenen Auslieferungsanhörung von Julian Assange, die im Londoner Old Bailey stattfand, sank ein Land, das sich rühmt, eine der ältesten Demokratien der Welt zu sein, auf das Niveau einer billigen Diktatur. Assange, der Gründer von WikiLeaks, hat Kriegsverbrechen, Folter, staatliche Überwachung und die diplomatischen Verschwörungen der USA und anderer imperialistischer Mächte aufgedeckt. Ins Gericht kam er nun in einem nicht gekennzeichneten Fahrzeug direkt aus seiner Zelle in einem Hochsicherheitsgefängnis, wo er unter strengeren Bedingungen als ein Mörder inhaftiert ist. Im Old Bailey konnte er im Gefangenentrakt zum ersten Mal seit sechs Monaten seine Anwälte persönlich sehen und einen ersten Blick auf die letzten schriftlichen Eingaben in seinem eigenen Fall werfen.