Nur einen Tag nach seinem Treffen mit Präsident Trump hat Selensky einige der erreichten Einigungen de facto schon wieder kassiert.
Es hat bei Selensky bereits seit vielen Jahren Tradition, dass er bei internationalen Gipfeltreffen getroffene Einigungen nach wenigen Tagen wieder kassiert. Diese Tradition etablierte Selensky schon im Jahr seiner Machtübernahme, als im Dezember 2019 das letzte Treffen im Normandie-Format stattfand und Selensky nach seiner Rückkehr nach Kiew umgehend begann zu tricksen und eindeutige Formulierungen umzudeuten, um eingegangene Verpflichtungen nicht umzusetzen.
So etwas wurde bei Selensky danach zur Tradition und wir haben das dann noch oft erlebt. Und so auch dieses Mal nach dem gestrigen Treffen von US-Präsident Trump mit Selensky in Florida, denn nur einen Tag nach dem Treffen gab Selensky vor Reportern Erklärungen ab, die zeigen, dass er die getroffenen Einigungen wieder unterwandern will.
Ukrainische Ultranationalisten und Geheimdienstagenten, die als Scheinflüchtlinge in die Gesellschaften Polens und Ungarns eingedrungen sind, könnten hier Terroranschläge verüben. Dies könnte durch eine engere Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste beider Staaten verhindert werden, die aber wegen ihrer unterschiedlichen Haltung gegenüber der Ukraine weiterhin gespalten bleiben, was Kiew geopolitisch zugute kommt.
Polen und andere EU-Länder wie Ungarn, die ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, müssen nach Beendigung des Konflikts mit weiteren Problemen durch diese Flüchtlinge rechnen. Im Februar 2025 zeigten offizielle Polizeidaten, dass Ukrainer in Polen mehr Straftaten begangen haben als alle anderen Ausländer. Einige wurden auch beschuldigt, im Auftrag Russlands Straftaten gegen die nationale Sicherheit begangen zu haben, was Russland jedoch bestritt, während russische Medien behaupteten, dass es sich hierbei entweder um anti-polnische Ultranationalisten (Faschisten) oder um ukrainische Geheimdienstagenten handele.
Anstatt zu versuchen, sie daran zu hindern, ermutigte Außenminister Radek Sikorski die Ukrainer, die Druzhba-Pipeline, die Ungarn und die Slowakei mit russischem Öl versorgt, „auszuschalten“, was ihm von der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharova, den Spitznamen „Osama Bin Sikorski“ einbrachte. Wie in der oben verlinkten früheren Analyse erläutert, könnte dies für Polen nach hinten losgehen, indem es so den Terrorismus gegen das Land durch jene Ultranationalisten schürt, die Anspruch auf seine südöstlichen Teile erheben, in denen früher viele orthodoxe Ostslawen lebten.
Um auf Sikorskis Beitrag zurückzukommen: Einige der ukrainischen Ultranationalisten und/oder Geheimdienstagenten, die als Scheinflüchtlinge in die EU eingedrungen sind, könnten die Druzhba-Infrastruktur in Ungarn angreifen, da sie wissen, dass sie dann in Polen Asyl erhalten könnten, genau wie der Nord-Stream-Anschlag-Verdächtige, dessen Auslieferung an Deutschland abgelehnt wurde. Obwohl Polen und Ungarn auf eine tausendjährige gemeinsame Geschichte und fast 700 Jahre Freundschaft zurückblicken können, verachtet das derzeitige Herrscherduopol in Polen Ungarn wegen seiner pragmatischen Politik gegenüber Russland.
In Anlehnung an Sikorski könnte die polnische Führung daher ein Auge zudrücken, wenn diese „Flüchtlinge” von ihrem Territorium aus einen solchen Angriff planen und/oder vor den nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr eine Farben-Revolution in Ungarn anzetteln wollen. Im Hinblick auf dieses Szenario warnte Sikorskis ungarischer Amtskollege Peter Szijjarto bereits Mitte August, dass die EU derartige Bemühungen anleiten könnte, einen Tag nachdem der russische Auslandsgeheimdienst vor der Rolle gewarnt hatte, die Ukrainer bei der Förderung eines Regimewechsels in Ungarn spielen könnten.
Die EU, die Ukraine und Polen wollen alle Viktor Orban loswerden, was durch „Flüchtlinge“ (Ultranationalisten und/oder Geheimdienstagenten) erreicht werden könnte, die vor den nächsten Wahlen die Druschba-Pipeline in Ungarn sabotieren und dann durch die wirtschaftlichen Folgen groß angelegte, vorab geplante Proteste auslösen. Um es klar zu sagen: Nichts davon muss eintreten, aber der Punkt ist, dass ein solches Szenario aus den genannten Gründen dennoch glaubwürdig ist. Die ungarische Spionageabwehr täte daher gut daran, wachsam zu bleiben.
Eine engere Zusammenarbeit zwischen den polnischen und ungarischen Sicherheitsdiensten zur Abwehr dieser Bedrohungen durch ukrainische „Flüchtlinge“ ist unwahrscheinlich, da der liberal-globalistische Ministerpräsident Donald Tusk und der neue konservative Präsident Karol Nawrocki Orbans pragmatische Politik gegenüber Russland gleichermaßen ablehnen. Eine Annäherung zwischen ihnen durch die Visegrad-Gruppe ist daher unrealistisch, wodurch ihre Länder für diese hybriden Bedrohungen anfällig und sie zum geopolitischen Vorteil Kiews gespalten bleiben.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Die acht Teilnehmer am Hungerstreik, oben von links nach rechts: Qesser Zuhrah, Amu Gib, Heba Muraisi, Jon Cink. Unten von links nach rechts: Teuta Hoxha, Kamran Ahmed, Lewie Chiaramello, Ulmer Khalid [Photo: Prisoners for Palestine]
Vier junge pro-palästinensische Aktivisten, die sich in einem britischen Gefängnis seit fast zwei Monaten im Hungerstreik befinden, schweben in akuter Lebensgefahr. Die Labour-Regierung unter Keir Starmer hat deutlich gemacht, dass sie nicht gewillt ist, ihren Tod zu verhindern.
Bei den vier Hungerstreikenden handelt es sich um Kamran Ahmed, Heba Muraisi, Teuta Hoxha und Lewie Chiaramello. Drei weitere politische Häftlinge – Amu Gib (49 Tage), Qesser Zuhrah (48 Tage) und Jon Cink (38 Tage) – haben ihren Hungerstreik am 23. Dezember unterbrochen. Umer Khalid, der letzte der acht ursprünglichen Teilnehmer, beendete seinen Hungerstreik nach 13 Tagen.
Am 25. Dezember hatte Heba Muraisi 53 Tage ohne Nahrung hinter sich, Teuta Hoxha 47 Tage, Kamran Ahmed 46 Tage und Lewie Chiaramello 32 Tage. Der Tod tritt in der Regel nach 60 bis 70 Tagen ohne Nahrung ein, je nach Gesundheitszustand und Umständen auch früher.
Am vergangenen Freitag schaltete sich eine Gruppe von Experten der Vereinten Nationen ein, darunter Gina Romero, die UN-Sonderberichterstatterin zu Versammlungs- und Organisationsfreiheit, und Francesca Albanese, die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete. Sie verurteilten die Behandlung der Hungerstreikenden: „Die Berichte lassen ernsthafte Zweifel an der Wahrung der internationalen Menschenrechte und Standards aufkommen, einschließlich der Verpflichtung, Leben zu schützen und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu verhindern.“ Weiter hieß es: „Vermeidbare Todesfälle in Haft sind unter keinen Umständen hinnehmbar. Der Staat trägt die volle Verantwortung für das Leben und das Wohlergehen derjenigen, die er inhaftiert … Es sind umgehend dringende Maßnahmen erforderlich.“
Am Sonntagabend haben sich Trump und Selensky in Florida zu Gesprächen über eine Lösung des Ukraine-Konfliktes getroffen. Einen Durchbruch gab es nicht, aber einige sehr interessante Details und Trumps Verhandlungsstrategie zeigte, dass er, was die Intrigen der Europäer angeht, dazugelernt hat.
Wahrscheinlich hat niemand von den Gesprächen zwischen US-Präsident Trump und dem ukrainischen Machthaber Selensky einen Durchbruch erwartet und es hat auch keinen gegeben. Aber es gab einige sehr interessante und auch unerwartete Entwicklungen, zu denen wir etwas weiter unten in diesem Artikel kommen.
Zunächst war vor allem Trumps Verhandlungsstrategie interessant, denn er hat offensichtlich aus den Intrigen und Sabotageversuchen der Europäer bei den vorherigen Verhandlungen über die Ukraine gelernt. Und dass er auf die Europäer generell nicht gut zu sprechen ist, zeigen auch viele seiner Erklärungen nach dem Treffen, aber beginnen wir mit Trumps Verhandlungstaktik und kommen wir danach zu den Ergebnissen.
Am ersten Weihnachtsfeiertag griff das US-Militär mehrere Ziele im Nordwesten Nigerias mit Marschflugkörpern an, angeblich auf Ersuchen der nigerianischen Regierung. Laut Angaben des Weißen Hauses wurden dabei mehrere IS-Kämpfer getötet. Die Trump-Regierung und nigerianische Regierungsvertreter stellten die Operation als gemeinsame Anti-Terror-Mission dar.
Medienberichten zufolge wurden die Raketen von mindestens einem Schiff der US Navy im Golf von Guinea auf Ziele im Bundesstaat Sokoto im Nordwesten Nigerias abgefeuert. Ein Angehöriger des US-Militärs erklärte gegenüber der New York Times, man habe „mehr als ein Dutzend“ Tomahawk-Marschflugkörper abgefeuert und zwei Stützpunkte des IS getroffen. Das US Africa Command (AFRICOM) sprach von „Luftangriffen“, bei denen „mehrere IS-Terroristen“ getötet wurden.
Laut New York Times sind bei den Angriffen Tomahawk-Marschflugkörper eingesetzt worden, die der US-Imperialismus wiederholt bei seinen Angriffen auf den Irak, Syrien, Libyen und weitere Länder benutzt hat. Medien- und Pentagon-Berichte sprechen auch allgemeiner von „Luftangriffen“, was auf den zusätzlichen Einsatz von Flugzeugträger- oder landgestützten Flugzeugen hindeuten dürfte; bislang wurden jedoch keine Details an die Öffentlichkeit gegeben.
Die Trump-Regierung intensiviert ihre Vorbereitungen auf eine Militärintervention gegen Venezuela und beschleunigt damit seit langem bestehende Pläne für einen Regimewechsel unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Drogenhandel und der Durchsetzung von Sanktionen.
In den letzten Wochen haben die USA etwa 15.000 Soldaten in der Karibik zusammengezogen. Zu diesem Aufmarsch gehören elf Kriegsschiffe nahe den venezolanischen Hoheitsgewässern, darunter die USS Gerald R. Ford, der größte Flugzeugträger der Welt, mehrere Lenkwaffenzerstörer, amphibische Angriffsschiffe und mindestens ein Atom-U-Boot. Die vor zwei Jahrzehnten geschlossene Marinebasis Roosevelt Roads in Puerto Rico wurde wieder in Betrieb genommen, um erweiterte Luftoperationen zu unterstützen, darunter den Einsatz von F-35-Tarnkappenjägern.
Seit September 2025 haben US-Truppen mindestens 28 Angriffe gegen kleine Boote in der südlichen Karibik und im östlichen Pazifik durchgeführt und dabei mehr als 100 Menschen getötet. Diese Angriffe, die ohne Zustimmung des US-Kongresses oder irgendein völkerrechtliches Mandat erfolgten, wurden von der Regierung als Angriffe auf angebliche „Drogenschmuggler“ gerechtfertigt, von denen viele angeblich aus Venezuela stammen. Für diese Behauptungen wurden keine Beweise vorgelegt. Sie stellen Kriegshandlungen auf der Grundlage einer einseitigen Ausübung exekutiver Gewalt dar.
Ein beliebtes Mittel deutscher Medien zur Verbreitung von Desinformation sind fehlerhafte Übersetzungen. Dafür hat der Spiegel nun wieder ein typisches Beispiel geliefert, bei dem er eine Aussage Putins nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern auch noch falsch übersetzt hat.
Der Spiegel hat einen Artikel mit der Überschrift „Vor Gesprächen zwischen Selenskyj und Trump – Putin droht der Ukraine mit mehr Gewalt“ veröffentlicht, bei dem die Überschrift schon für sich spricht. Der Spiegel erklärt seinen Lesern damit, Putin wolle keinen Frieden, während der liebe Herr Selensky Frieden möchte und sich deshalb mit US-Präsident Trump trifft. Aber Putin sabotiert die Bemühungen, indem unmittelbar vor dem Treffen von Selensky und Trump mit noch mehr Gewalt droht. Das ist der Eindruck, den Spiegel-Leser bekommen sollen.
Riad erwartet, als Belohnung für seinen Kampf gegen die Houthis zumindest in einem Teil des Jemen einen Vasallenstaat zu erhalten.
Der Südliche Übergangsrat (STC) behauptete, Saudi-Arabien habe in der Nähe seiner Streitkräfte Warnangriffe durchgeführt, nachdem diese südjemenitische Separatistengruppe die Forderung der Saudis nach einem Rückzug aus den östlichen Provinzen Hadhramout und Mahra abgelehnt hatte. Zur Erinnerung: Der STC, der Teil des Präsidialen Führungsrats (PLC) ist und dessen Vorsitzender PLC- Vizepräsident ist, hatte Anfang Dezember im Rahmen einer Operation gegen Schmuggel die Kontrolle über diese mit Saudi-Arabien verbündeten Provinzen übernommen.
„Die faktische Wiederherstellung des Südjemen hat die Dynamik des Konflikts drastisch verändert“, indem sie die bisher als fait accompli angesehene Dreiteilung des Jemen zwischen dem von den Houthis kontrollierten Norden, dem vom STC kontrollierten Süden und dem faktisch von Saudi-Arabien kontrollierten Osten verhindert hat. Es war zu erwarten, dass „nicht-kinetischer Druck seitens der Saudis (z. B. wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen und Informationskrieg) zur Machtteilung mit dem selbst ins Exil gegangenen PLC“ folgen würde, doch nun eskalieren die Saudis eindeutig in kinetischem Sinn.
Der Sprecher der von Saudi-Arabien geführten Koalition drohte gerade, dass „jede militärische Bewegung, die gegen [die Forderung Saudi-Arabiens, dass sich der STC unter dem Vorwand der Deeskalation aus dem Osten zurückzieht] verstößt, direkt und unverzüglich geahndet wird“. Dies offenbart das Ziel Riads, einen Vasallenstaat im Osten Jemens zu errichten, sei es als neue saudische Provinz, als nominell unabhängiger Staat, als de facto unabhängiger Staat in einer Konföderation mit Südjemen oder als formell autonomer Staat innerhalb des vereinigten Jemen.
Um dieses geopolitische Ziel zu erreichen, scheinen sie bereit zu sein, einen Krieg innerhalb der Koalition gegen den STC zu führen, auch wenn dies eine weitere Vertiefung der Kluft zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (die den STC unterstützen) und möglicherweise eine Ermutigung der Houthis zur Durchführung einer Offensive inmitten dieser Unruhen zur Folge hat, sofern sie sich nicht mit ihnen einigen können. In diesem Zusammenhang ist es durchaus möglich, dass es eine geheime Vereinbarung zwischen den Saudis und ihren nominellen Feinden, den vom Iran unterstützten Houthis, gibt, die direkt zwischen Riad und Teheran getroffen worden sein könnte.
Keiner von beiden möchte, dass die VAE ihren regionalen Einfluss noch weiter ausbauen als bereits durch die Wiederherstellung des Südjemen. Daher könnte der Iran zugestimmt hatten, den Houthis zu signalisieren, dass, wenn sie einen internen Koalitionskrieg nicht ausnutzen, die Saudis im Gegenzug zustimmen, den Nordjemen in Ruhe zu lassen, falls dieser den Osten zurückerobert. Der von den Houthis kontrollierte und vom Iran unterstützte Nordjemen würde dann als de facto unabhängiger Staat fungieren, während unklar ist, welchen politischen Status der Osten haben würde, wie zwei Absätze weiter oben erläutert wurde.
Hadhramout ist das Zentrum der jemenitischen Ölindustrie, weshalb es für den Südjemen schwierig werden würde, jemals finanziell unabhängig zu werden, sollte der STC diese Provinz verlieren. Dadurch würde er im Rahmen einer Konföderation vom saudisch kontrollierten Osten oder aber von den Emiraten abhängig werden, sollten der Osten und der Süden getrennte Wege gehen. In diesem Fall würde der Südjemen Schwierigkeiten haben, jemals seine volle Souveränität wiederzuerlangen, was den Zielen des durchaus populären STC einen schweren Schlag versetzen und möglicherweise tiefsitzende Ressentiments gegen die Saudis schüren würde.
Wenn die Saudis ihre Luftangriffe gegen den STC fortsetzen und die mit ihnen verbündeten Streitkräfte im Königreich parallel dazu eine Invasion im Osten durchführen, könnte die Koalition ebenso irreparabel gespalten werden wie Saudi-Arabien und die VAE, wobei das letztere Szenario die regionalen Spannungen verschärfen könnte.
Mit einem derart unverhohlenen Machtspiel würden die Saudis freilich ihre geopolitischen Motive offenlegen, weil es zeigen würde, dass Riad immer erwartet hat, als Belohnung für seinen Kampf gegen die Houthis zumindest in einem Teil des Jemen einen Vasallenstaat zu erhalten.
*Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
In Brüssel wird gefordert, die Ukraine müsse im Rahmen eines Friedensplans einen beschleunigten und vereinfachten EU-Beitritt bekommen. Entweder glaubt man in Brüssel selbst nicht an diese Forderung, oder die Verantwortlichen in der EU haben auch noch den letzten Bezug zur Realität verloren.
Aus Moskau hört man immer wieder, dass Russland zwar kategorische gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine ist, aber kein Problem mit einem EU-Beitritt der Ukraine hat. Und das, obwohl in den EU-Verträgen eine weitaus bindendere Verpflichtung zu militärischem Beistand im Falle eines Angriffs enthalten ist, als im NATO-Vertrag. Warum also hat Russland kein Problem mit einem EU-Beitritt der Ukraine?
Der finanzielle Selbstmord der EU
Aus Brüssel hört man in den letzten Tagen immer wieder, dass die Ukraine nach dem Ende des Krieges möglichst schnell der EU beitreten soll. Offiziell sind die meisten EU-Staaten dafür, aber das sind nur pflichtschuldige Lippenbekenntnisse für die Medien, die die Politiker sich erlauben können, weil ein EU-Beitritt der Ukraine in der nahen und mittleren Zukunft ungefähr so wahrscheinlich ist, wie das Zufrieren der Badestrände in der Karibik.
Der Grund liegt auf der Hand: Die Ukraine ist wirtschaftlich ein Dritte-Welt-Land und sollte sie der EU beitreten, wäre das so teuer, dass auf einen Schlag alle Länder, die bisher jährlich netto viele Milliarden aus Brüssel erhalten, zu Geberländern würden. Und das werden gerade die osteuropäischen Länder niemals zulassen, die der EU ja vor allem wegen der vielen Milliarden beigetreten sind, die sie jährlich aus Brüssel geschenkt bekommen.
Die derzeit im Bau befindliche „EU-Verteidigungslinie”, die sich aus der „Baltischen Verteidigungslinie” und Polens „Ostschild” entlang der östlichen Grenze der NATO zusammensetzt, könnte dann durch von Polen geführte Truppenentsendungen verstärkt werden, da Polen für das Überleben dieser drei Länder in einem Krieg mit Russland von entscheidender Bedeutung wäre.
Der polnische Präsident Karol Nawrocki weihte Ende Oktober gemeinsam mit seinem litauischen Amtskollegen den neuesten Abschnitt der Autobahn „Via Baltica“ zwischen Polen und den baltischen Staaten ein, wobei beide den doppelten militärischen Zweck dieses Megaprojekts in Anspielung auf den „militärischen Schengen-Raum“ hervorhoben. Die „Via Baltica“ ist eines der Flaggschiffprojekte der „Drei-Meere-Initiative“ (3SI), von denen viele die neuere Initiative „Militärisches Schengen“ ergänzen, die den Fluss von Truppen und Ausrüstung nach Osten in Richtung Russland erleichtern soll.
Polen geht davon aus, dass die 3SI die Wiederbelebung seines längst verlorenen Großmachtstatus beschleunigen wird, was dazu führen wird, dass es nach Beendigung des Ukraine-Konflikts die Eindämmung Russlands in ganz Mittel- und Osteuropa (MOE) anführen wird. Es ist das bevölkerungsreichste ehemalige kommunistische Mitglied der NATO mit der drittgrößten Armee des Bündnisses, hat gerade eine Billionen-Dollar-Wirtschaft erreicht und strebt nun einen Sitz in der G20 an. Außerdem hat es während der Zeit des Commonwealth/der „Rzeczpospolita” eine Geschichte als regionale Führungsmacht, sodass diese Ambitionen nicht unrealistisch sind.
Aufbauend auf dem letzten Punkt wissen die meisten gelegentlichen Beobachter nicht, dass sich das Commonwealth bis in den Norden nach Lettland erstreckte, das bis zur dritten Teilung 1795 unter seiner Kontrolle blieb. Davor kontrollierte es von 1561 bis 1629 sogar etwa die Hälfte Estlands, das danach an Schweden abgetreten wurde. Es genügt zu sagen, dass das heutige Litauen ebenfalls Teil der „Republik der beiden Nationen” war, wie die Republik Polen offiziell genannt wurde, wodurch Polen einen wesentlichen Einfluss auf die Geschichte des Baltikums hatte.
Die in den beiden vorangegangenen Absätzen dargelegten Erkenntnisse ermöglichen es dem Leser, besser zu verstehen, was Nawrocki während seiner ersten Reise als Präsident in dieses Land im vergangenen September gegenüber den litauischen Medien sagte: „Wir als Polen und ich als Präsident Polens sind uns bewusst, dass wir für ganze Regionen Mitteleuropas verantwortlich sind, einschließlich der baltischen Staaten und Litauen. Dank dieses Besuchs und unserer Zusammenarbeit haben wir das Gefühl, dass wir auch unser militärisches Potenzial in Solidarität aufbauen, unterstützt von jenseits des Ozeans.“
Die „Via Baltica“ und die ergänzende „Rail Baltica“, die beide hinter dem Zeitplan zurückliegen (insbesondere letztere), werden Polen als Mittel dienen, um diese Dimension seiner Großmachtvision zu verwirklichen, wie Nawrocki erläutert hat. Die „Rückkehr zu Ostasien“ der USA nach der Ukraine-Krise, um China stärker einzudämmen, könnte dazu führen, dass einige Truppen aus Mittel- und Osteuropa dorthin verlegt werden, aber Polen würde dann wahrscheinlich die reduzierte Rolle der USA durch seine fortschreitende Militarisierung und den durch 3SI ermöglichten militärlogistischen Zugang zum Baltikum ersetzen.
Die derzeit im Aufbau befindliche „EU-Verteidigungslinie“, die sich aus der „Baltischen Verteidigungslinie“ und Polens „Ostschild“ entlang der östlichen Grenze der NATO zusammensetzt, könnte dann durch von Polen geführte Truppenentsendungen verstärkt werden, da Polen für das Überleben dieser drei Länder in einem Krieg mit Russland von entscheidender Bedeutung wäre. In diesem Szenario wäre Russlands größter Gegner nicht unbedingt die NATO als Ganzes, sondern Polen, von Estland bis hinunter zum Dreiländereck Polen-Weißrussland-Ukraine. Das hätte wichtige Auswirkungen.
Kurz gesagt: Polen ist zwar aus Gründen gemeinsamer antirussischer Ziele eng mit der angloamerikanischen Achse verbündet, aber es ist nicht deren Marionette und könnte unter Nawrocki sogar noch strategisch autonomer werden. Schließlich überraschte er viele mit seiner jüngsten Äußerung, er sei bereit, mit Putin zu sprechen, wenn die Sicherheit Polens davon abhänge, und öffnete damit die Tür für einen polnisch-russischen Modus vivendi in der Zukunft. Eine solche Einigung könnte der Schlüssel zur Wahrung des Friedens in Mittel- und Osteuropa nach dem Ende des Ukraine-Konflikts sein.
*Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.