„Wir erleben einen umfassenden Angriff auf jeden Bereich des Lebens“
Interview: Benjamin Mateus – 30. Januar 2024
Nach Angaben des Gesundheitsministerium in Gaza wurden seit Beginn der Kampfhandlungen am 7. Oktober 2023 bis Anfang Januar 2024 in Gaza mindestens 23.500 Palästinenser getötet und fast 60.000 verletzt. Etwa 70 Prozent davon waren Frauen und Kinder.
Viele der Vermissten sind vermutlich tot, begraben unter den Trümmern des Gazastreifens. Dieses Gebiet, das flächenmäßig kleiner ist als die Stadt Detroit, gleicht allmählich eher einem Friedhof unter freiem Himmel als einem Gefängnis unter freiem Himmel, wie es die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese im letzten Sommer beschrieben hat.
Mehr als 1,9 Millionen Menschen, d. h. 85 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens, sind Binnenflüchtlinge. Etwa eine Million sind in der südlichen Grenzsiedlung Rafah zusammengepfercht, wo es keinen Ort gibt, an den sie vor den täglichen Angriffen der Bombenjets und Scharfschützen fliehen können. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten schätzt, dass 65.000 Häuser vollständig zerstört und weitere 290.000 beschädigt worden sind. Mehr als die Hälfte der Bewohner des Gazastreifens wurden obdachlos.
Die Associated Press stellte anhand von Satellitendaten fest, dass im nördlichen Gazastreifen mehr als zwei Drittel aller Gebäude und im südlichen Gebiet um Chan Younis 25 Prozent der Gebäude zerstört worden sind. Die Financial Times stellte fest, dass die Zerstörungen im nördlichen Gazastreifen schlimmer waren als die der Brandbomben auf Dresden im Zweiten Weltkrieg. Fast das gesamte Gesundheitssystem wurde zerstört, und es gibt nur noch 1.400 Krankenhausbetten, die sich im Wesentlichen im Süden des Gazastreifens befinden. Über hundert Schulen wurden zerstört, das sind 70 Prozent aller Schulen. Nach Angaben des Guardian werden die Schulen, die noch stehen, als Unterkünfte für Binnenflüchtlinge genutzt. Die Wasserproduktion liegt bei sieben Prozent des Vorkriegsniveaus, und es herrscht Massenhunger.
Letzte Woche hat der Anwalt am Obersten Gerichtshof Südafrikas, Adila Hassim, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgesagt, dass Israel sich des Völkermordes schuldig gemacht und damit gegen die Konvention von 1948 verstoßen hat. In seinen Ausführungen sagte er: „In den vergangenen 96 Tagen hat Israel den Gazastreifen einer der schwersten konventionellen Bombenkampagnen in der Geschichte der modernen Kriegsführung unterzogen.“
Vor diesem Hintergrund bat die World Socialist Web Site Dr. Yara Asi um ein Interview. Sie ist Assistenzprofessorin für globales Gesundheitsmanagement und Informatik an der University of Central Florida, Gastwissenschaftlerin am FXB Center for Health and Human Rights der Harvard University und Fullbright-Stipendiatin der USA im Westjordanland. Ihre Beiträge wurden in der New York Times, dem Guardian (wo sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Palästina erörterte) und der Washington Post veröffentlicht. Ihr demnächst erscheinendes Buch, „How War Kills: The Overlooked Threats to Our Health“ (Wie Kriege töten. Die kaum beachteten Gefahren für unsere Gesundheit) soll noch in diesem Monat bei Johns Hopkins University Press erscheinen.