Von Amalia van Gent – 8. Januar 2024
Die gewaltsame Vertreibung der Bevölkerung aus Berg-Karabach findet begeisterte Nachahmer im Nahen Osten. Ein Rückblick. – Im Zentrum der armenischen Hauptstadt Jerewan erinnert nichts an die grosse Flucht vom letzten September, als über hunderttausend traumatisierte Menschen aus Berg-Karabach in Armenien Zuflucht suchten: Man sieht keine Flüchtlinge, die an Strassenrändern die Passanten um einen Gefallen bitten, keine Zelte, keine ausserordentlichen Zeichen der Not. Tagsüber wirkt der weitläufige „Platz der Republik» ausgelassen – wie schon seit je: Im Park neben dem Regierungsgebäude nippen Studenten an ihrem Kaffee oder tanzen beschwingt nach den Klängen ihrer Smartphones. Ältere Damen und Herren suchen sich laut gestikulierend sonnige Ecken aus, während junge Mütter ihren Kleinen zärtlich mahnend nachrennen. Ein Strassenmusikant zaubert aus seinem selbstgebauten, aus Glasflaschen in unterschiedlichsten Grössen bestehenden Instrument Melodien und versetzt die Zuschauer ins Staunen. „Es sind die Nächte, die wir nicht ertragen“, sagt der armenische Autor Grigor Shashikyan. „Trauer und Traumata holen uns dann ein; und dieses Gefühl der ständigen Bedrohung“.