Biden: „Journalismus ist kein Verbrechen“ – außer für Julian Assange

Von Patrick Martin – 1. Mai 2023

Für Vertreter der Medienelite und hochrangige Politiker in Washington ist das jährliche Dinner der White House Correspondents Association eine Gelegenheit, zu plaudern und sich ihre gegenseitige Solidarität zu versichern. Üblicherweise inszenieren sie sich dabei als Verteidiger des 1. Zusatzartikels zur US-Verfassung, obwohl eine Regierung nach der anderen sie im Interesse des amerikanischen Imperialismus systematisch mit Füßen getreten hat. Illegale staatliche Überwachung, Polizeigewalt und Verletzung demokratischer Grundsätze wie die Trennung von Kirche und Staat gehören in Amerika zum Alltag, und die bürgerlichen Medien gehen darüber im Allgemeinen stillschweigend hinweg, solange ihre eigenen finanziellen Interessen nicht gefährdet werden. Doch das diesjährige Dinner der White House Correspondents Association am letzten Samstagabend war von mehr als dem üblichen Maß an Heuchelei geprägt. Präsident Joe Biden und die versammelten Mitglieder der politischen und medialen Elite gaben vor, die Pressefreiheit zu verteidigen – aber nur, wenn sie den außenpolitischen Interessen des amerikanischen Imperialismus dient. Abgesehen von Donald Trump haben in den letzten Jahren alle amtierenden Präsidenten an dem Dinner teilgenommen. Die meisten Auftritte der Präsidenten waren dabei geprägt von vorbereiteten Reden, in denen sie sich über das Publikum, die politischen Gegner und Kritiker des Präsidenten und auch den Präsidenten selbst lustig machten. Doch Biden widmete den Großteil seiner Rede einer langen Erklärung, in der er die repressiven Maßnahmen gegen Journalisten in Russland, China, dem Iran, Syrien und Venezuela verurteilte. Zudem versprach er, dass die USA sich diplomatisch dafür einsetzen werden, die Freilassung des Wall-Street-Journal-Reporters Evan Gershkovich und anderer amerikanischer Gefangener des Putin-Regimes zu erwirken. Gershkovich war vor kurzem in Russland wegen fingierter Spionagevorwürfe verhaftet worden. Es war offensichtlich, dass die Länder, denen er Verletzungen der Pressefreiheit vorwarf, die gleichen Länder sind, in welchen der US-Imperialismus die Regierung schwächen und stürzen will. So erwähnte Biden beispielsweise die Ermordung des Washington-Post-Kommentators Jamal Khashoggi, der im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul getötet und zerstückelt wurde, mit keinem Wort. Khashoggi, ein ehemaliger Berater der saudischen Monarchie, der sich zu ihrem Kritiker entwickelt hatte, wurde vom faktischen saudischen Herrscher, Kronprinz Mohammed bin Salman, ins Visier genommen. Sein Sicherheitschef entsandte das Killerkommando und leitete ihre Aktion. Im Wahlkampf 2020 hatte Biden behauptet, er würde den saudischen Herrscher zum „Paria“ machen. Stattdessen begab er sich unterwürfig nach Riad, um mit dem Prinzen und Mörder über eine Erhöhung der saudischen Ölproduktion zu reden. Doch der offensichtlichste Fall von Doppelmoral betraf die Biden-Regierung direkt: die Verfolgung von Julian Assange. Der WikiLeaks-Gründer und -Herausgeber saß fast ein Jahrzehnt lang in der ecuadorianischen Botschaft in London fest, wo er politisches Asyl gegen die Bestrebungen der USA beantragt hatte, ihn zu verhaften und in die USA zu überstellen. Dort sollte er wegen der Enthüllung von US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan sowie im Foltergefängnis Guantanamo Bay wegen Spionage angeklagt werden.

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