Von Alexander Bahar – 19. Oktober 2025
Wilfried Kugel legt eine Neuauflage seiner Biographie über den legendären Illusionisten Erik Jan Hanussen vor.
Zahllose Legenden ranken sich um den berühmt-berüchtigten Wiener Illusionisten Erik Jan Hanussen, der unter dem bürgerlichen Namen Hermann Steinschneider 1889 in Ottakring bei Wien geboren wurde. In den 1920-er Jahren erlangte er mit öffentlichen Vorführungen seiner von ihm selbst als „Experimente“ bezeichneten Tricks und Kunststücke größte Popularität in Europa, Asien und den USA.

1923 wurde Hanussen wegen des öffentlich ausgetragenen (tätlichen) Streits mit seinem Widersacher, dem Zionisten Siegmund Breitbart, der bis zu Straßenschlachten in Wien führte, aus Österreich ausgewiesen.
1930 verlegte Hanussen seinen Wohnsitz nach Berlin. In der hektischen und politisch stark polarisierten deutschen Hauptstadt unterhielt er zu Beginn der 1930-er Jahre geschäftliche und freundschaftliche Beziehungen zu hohen NS- und SA-Führern. Für Hitlers heraufdräuendes „Drittes Reich“, in dem er sich eine einflussreiche Position erhoffte, betrieb Hanussen während seiner Veranstaltungen und Séancen begeistert Werbung. Durch die Aktivitäten seines ehemaligen Assistenten, des zionistischen Funktionärs Erich Juhn, sowie Enthüllungen seitens der kommunistischen Presse wurde die jüdische Abstammung Hanussens öffentlich und damit die Verbindung zu ihm für die Nazis kompromittierend. Im März 1933, wenige Tage nach dem Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin, den Hanussen vorausgesagt hatte, wurde der „Hellseher“ von einem SA-Kommando ermordet, nachdem er vorher noch zum evangelischen Glauben übergetreten war.
Der Diplomphysiker und promovierte Psychologe Wilfried Kugel, zusammen mit dem Rezensenten Verfasser eines Standardwerks über den Reichstagsbrand („Der Reichstagsbrand – Wie Geschichte gemacht wird“), hatte sich ursprünglich mit dem Werk und der Biographie des Schriftstellers und Filmpioniers Hanns Heinz Ewers beschäftigt, über den er auch eine Biographie verfasst hat. Ewers war mit Hanussen bekannt und hatte der legendären Séance am Vorabend des Reichstagsbrandes beigewohnt, in deren Verlauf Hanussen diesen „vorhergesagt“ bzw. angekündigt hatte.
Nach Hanussens gewaltsamem Tod entwickelte sich eine schier undurchschaubare Vermischung von Tatsachen und Mystifikationen, zu denen Hanussen selbst bereits zu seinen Lebzeiten den Grundstein gelegt hatte bzw. die von verschiedensten Autoren post mortem in die Welt gesetzt wurden. Das machte die Erstellung einer wissenschaftlich exakten Biographie des „Gottes der Gaukler“ zu einem „abenteuerlichen und aufwändigen Unterfangen“, berichtet Kugel.
In mehrjährigen Recherchen gelang es dem Autor, teilweise nur schwer zugängliches Quellenmaterial zu sichten, darunter auch umfangreiche Justizakten. So wurde es ihm möglich, zahlreiche Verfälschungen in früheren Biographien des Illusionisten aufzudecken.
Aus der Erschließung von bis zu diesem Zeitpunkt unberücksichtigten und unbekannten Quellen ergaben sich zudem aufschlussreiche und erhellende Zusammenhänge, die unter anderem Hanussens Rolle bei der bereits genannten Brandstiftung im Berliner Reichstagsgebäude betreffen.
Der Autor legt belastbare Indizien vor, die nahelegen, dass Hanussen über seine engen Kontakte zu führenden NS- und SA-Größen von der bevorstehenden Brandstiftung Kenntnis hatte. Auch dadurch wurde er für die NS-Führung zum Risiko.
Es sei hier explizit darauf hingewiesen, dass der Autor keineswegs behauptet, Hanussens Wissen über die Reichstagsbrandstiftung beruhe auf dessen „hellseherischen Fähigkeiten“, wie es der Rezensent der NZZ den Autoren des Buches „Der Reichstagsbrand – Wie Geschichte gemacht wird“ seinerzeit unterstellte, wobei er urteilte: „Selbst eine so zwielichtige Gestalt wie der berühmte Illusionist Erik Jan Hanussen mit seinen vorgeblich hellseherischen Fähigkeiten muss für ihre Argumentation herhalten.“
Hanussens unbestreitbare Zwielichtigkeit ist für die Tatsache, dass er über dokumentiertes Wissen von dem bevorstehenden Brand im Reichstagsgebäude besaß, völlig irrelevant.
Neben der minutiösen Darstellung der geschichtlichen und biographischen Fakten beschreibt und untersucht der Autor auch die von Hanussen verwendeten und vorgeführten Zaubertricks und Illusionskunststücke, wobei er versucht, die von dem Illusionisten für sich beanspruchten „paranormalen“ (hellseherischen, telepathischen und psychokinetischen Fähigkeiten) kritisch zu werten.

Die jetzt erschienene Neuauflage der 1998 erstmals unter dem Titel „Hanussen. Die wahre Geschichte des Hermann Steinschneider“ erschienene Monographie enthält gegenüber der Erstauflage umfangreiche Erweiterungen und Präzisierungen. Nach dem Erscheinen der Erstauflage, berichtet Kugel, hätten ihn zahlreiche Zuschriften mit zum Teil sehr interessanten Informationen erreicht. Verbessert habe sich die Quellenlage insbesondere auch dadurch, dass in den letzten Jahren viele Zeitschriften und Zeitungen digitalisiert wurden. In zwei Jahre währenden aufwändigen Recherchen in der deutschen Exil-Presse konnte der Autor die Vorgänge kurz vor Hanussens Ermordung schließlich sehr genau rekonstruieren. Infolge der umfangreichen Ergänzungen sei eine Neuauflage daher dringend notwendig geworden, wobei der Autor auch einige kleinere Fehler und Irrtümer der Erstauflage berichtigen konnte.
Nach Einschätzung Kugels war Hanussen „ein genialer Illusionist“. Er habe „alle Facetten der Massensuggestion“ beherrscht, „auf der Bühne, mit seiner eigenen Hanussen-Zeitung und teils sogar im Film.“ Mit seinen perfektionierten Illusionskunststücken, seiner Beherrschung der Hypnose und seinem Charisma sei Hanussen ein begnadeter Unterhalter und Demagoge gewesen, der über die Fähigkeit verfügt habe, ein Massenpublikum in seinen Bann zu ziehen.
Schicksal eines Zauberlehrlings
Als „ausgesprochen unrühmlich“ wertet Kugel den politischen Missbrauch, den Hanussen mit seinen unbestreitbaren Fähigkeiten trieb, indem er sich – obendrein als Jude – propagandistisch in den Dienst der NSDAP und ihres Führers Adolf Hitler stellte und sich damit zum Trommler der Nazi-Bewegung machte. Von jüdischen Kritikern, die der Autor zitiert, wurde Hanussen daher verschiedentlich vorgeworfen, er habe zu denen gehört, „die durch ihr gewissenloses Verhalten das Judentum herabsetzten“ und diskreditierten.
Hanussen verschrieb sich, um mit Goethe zu sprechen, „der Ausgeburt der Hölle“. Die Geister, die er rief, wurde Hanussen nicht mehr los.
Insofern ist Hanussens Leben und Wirken, so Kugels Fazit, auch für die heutige Zeit ein mahnendes Beispiel für selbstsüchtige und skrupellose politische Demagogie.
Wilfried Kugel, Hanussen: Aufstieg und Fall des Illusionisten, tredition, Hamburg 2025. Hardcover, gebunden: 364 Seiten, 104 Abbildungen, ISBN-13: 978-3384676115 Informationen und Bestellungen: https://shop.tredition.com/booktitle/Hanussen/W-302-263-741. Bestellungen sind auch über alle Buchhandlungen und Online-Händler möglich.