Von Amalia van Gent – 3. April 2025
«Seht auf dieses Meer von Menschen! Seht die zwei Millionen Menschen, die hier versammelt sind!». Özgür Özel, Vorsitzender der größten türkischen Oppositionspartei CHP, blickte von der Redner-Tribüne auf die Menschenmenge, die sich auf einem riesigen Gelände direkt am Marmarameer eingefunden hatte. «Wir lassen uns nicht einschüchtern», rief er euphorisch. Er kündigte regelmäßige Protestaktionen an – »jeden Samstag in einer türkischen Stadt« – bis die Regierung in Ankara gezwungen wird, den inhaftierten Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu freizulassen und vorgezogene Neuwahlen auszurufen. Ohne Proteste drohe dem Land unmittelbar die Abschaffung der Demokratie, warnte Özel seine Zuhörerinnen und Zuhörer.
»Wir lassen uns nicht einschüchtern«, riefen die Teilnehmenden im Chor. Ihre Slogans hallten durch die Straßen Maltepes, das auf der gegenüberliegenden, asiatischen Seite der Metropole Istanbul liegt und traditionell eine Hochburg der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) ist. »Gerechtigkeit« riefen die Menschen ferner und immer wieder den Ruf nach freier Übersetzung von Bertolt Brecht: „Rettung gibt es nicht allein – entweder alle gemeinsam oder keiner von uns.“
Die Verhaftung des Bürgermeisters zehn Tage zuvor hatte in der Türkei unerwartet eine ebenso riesige wie spontane Protestbewegung ausgelöst, die Abend für Abend das Land erschütterte. Einen Tag vor der Demonstration in Maltepe durfte sich in einem Gastbeitrag für die New York Times Ekrem Imamoğlu zu den Ereignissen äußern: Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan habe verstanden, dass «er mich nicht an den Urnen schlagen kann», schrieb er. Für die Vorwürfe gegen ihn und sein Team – wie Korruption, die Führung eines kriminellen Netzwerks und Unterstützung der illegalen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – hätten die Behörden jedenfalls keinerlei glaubhaften Beweise. Ähnlich wie der CHP-Vorsitzende in Maltepe warnte auch Ekrem Imamoğlu, in der Türkei drohe nicht nur eine «langsame Erosion der Demokratie», sondern «die absichtliche Zerstörung der institutionellen Grundzüge unserer Republik». Ohnehin sei die «Republik unter Herrn Erdogan in eine Republik der Angst verwandelt worden», so Ekrem Imamoğlu.