Analyse | Schwindende Optionen im Kampf gegen Russland

Von Ralph Bosshard – 30. Juli 2025

Die Einstellung der US-Waffenlieferungen an die Ukraine und deren Wiederaufnahme kurz danach, der schleichende Zusammenbruch der ukrainischen Front und die neusten Proteste gegen die Korruption im Land deuten hin auf eine chaotische Lageentwicklung in den nächsten Wochen im Konflikt zwischen Russland und dem Westen (1). Selenskyjs Stuhl scheint zu wackeln, aber auch ein neues Gesicht wird nicht schlagartig alles zum Bessern wenden. Jetzt muss der Westen Konzessionen an Russland in Erwägung ziehen.

Der von der Administration Trump angekündigte Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine sorgte vor wenigen Wochen besonders in Westeuropa für Aufregung. Die Liste der blockierten Lieferungen umfasste eine breite Palette von Waffen und Munitionssorten, beginnend bei AT-4 Panzerfäusten über 155 mm Artilleriegranaten – diese allerdings in geringer Anzahl – bis hin zu Raketen für Patriot Luftabwehrsysteme und HIMARS Raketenwerfer (2). Auch wenn die Lieferungen nun wieder aufgenommen werden sollen, so ist die politische Signalwirkung umso klarer: Die USA sind nicht bereit, den Krieg in der Ukraine weiter zu finanzieren.

Die industrielle Dimension des Kriegs

Die industrielle Dimension des seit über drei Jahren in der Ukraine tobenden Kriegs trat schon lange offen zutage. Munition wird in derart großen Mengen verbraucht, dass die Umstellung ganzer Volkswirtschaften auf Kriegsproduktion bereits zu einem öffentlich diskutierten Thema geworden ist (3). Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass der Munitionsverbrauch von Armeen in Kampfhandlungen hoher Intensität im Vergleich zu Friedenszeiten auf ein Mehrfaches steigt – bei bestimmten Munitionssorten ging man beispielsweise im russischen Generalstab von einer Steigerung um den Faktor 30 aus (4). Der teilweise öffentlich ausgetragene Streit um die Belieferung der „Gruppe Wagner“ in den Kämpfen um die Stadt Bakhmut bzw. Artemovsk von August 2022 bis Mai 2023 lässt vermuten, dass der Verbrauch an Munition damals noch höher gewesen sein muss, als man im russischen Generalstab ursprünglich angenommen hatte. Aber auch die Waffen selbst werden geradezu in industriellem Ausmaß verbraucht. Nicht die Qualität bzw. die technischen Leistungsparameter von Waffensystemen und Munition bestimmen über Unter- oder Überlegenheit in bestimmten Bereichen, sondern ihre Verfügbarkeit. Die zweitbeste, in großer Anzahl verfügbare und leicht instand zu setzende Waffe mag in dieser Form des Kriegs zweckmäßiger sein, als das High-Tech-Gerät, das aufwendig ist in Wartung und Reparatur. Diese Erkenntnis wäre eigentlich nicht neu, aber alte Lektionen aus dem Zweiten Weltkrieg mussten eben neu gelernt werden (5).

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